Lichtbilder der Ökonomie
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Es ist Nacht. Es ist still. Menschen sitzen
in ihren Wohnungen vor dem Computer. Die farbigen Lichter der Tankstellen
und Supermärkte breiten sich selbstsicher in der Dunkelheit aus.
Mit Aufnahmen dieser Art führt uns Ralf Peters in einem Film Noir
der 90er Jahre, in die düstere Phase des Postfordismus, einer Epoche,
die von "leuchtenden Kästen" geprägt zu sein scheint.
Denn sind es nicht die Monitore, Lichtleisten, leuchtenden Logos und
vollständig illuminierte, architektonische Elemente, die für
viele Menschen so anziehend wirken und gegenwärtige Machtstrukturen
verdeutlichen? Dieses Blendwerk der Wirtschaft ist in alle Bereiche
des gesellschaftlichen Lebens eingedrungen, in urbane, öffentliche
Zonen genauso wie in Häuser und Privatwohnungen
Haben Computer eine Aura? Ist das der Grund ihres Erfolges: ihr Schein
des Übermenschlichen oder besser Posthumanen? Die neuen Kommunikationsmittel
- Computer und Internet - trugen wesentlich zur aktuellen Entwicklung
der Ökonomie bei. Auf ungeahnte Weise erweiterten sie die Möglichkeiten
der Informationsübertragung und Geldspekulation. Gleichzeitig führten
sie zu einer Veränderung der Arbeitsbedingungen. So benötigt
der Dienstleistungssektor feste Architekturen immer weniger. Als neue
Losungen werden das Home Office und der möglichst flexible und
mobile Arbeitnehmer ausgeben, wohl wissend, daß die Arbeit zuhause
oder unterwegs vielfach zur Auflösung von Arbeitsgemeinschaften,
ja zur Isolation des Individuums führen kann. Der neue Partner
der Werktätigen heißt PC, eine Maschine, die nicht nur gründlich
und universell funktioniert, sondern auch in einen Dialog mit ihren
Bedienern treten kann. "Der Computer als Partner ist das Mittel,
die Unmöglichkeit der sexuellen Beziehung zu umgehen: eine Beziehung
mit dem Computer ist möglich. Das Unheimliche besteht genau darin,
daß er eine Maschine ist, ein konsistentes Anderes, das an die
strukturelle Stelle des intersubjektiven Partners tritt - der Computer
ist ein 'unmenschlicher Partner' (wie Lacan über die Dame in der
höfischen Liebe sagt)." (Slavoj Zizek, Von der virtuellen
Realität, in: Peter Weibel, Zur Rechtfertigung der hypothetischen
Natur der Kunst und der Nicht-Idenität in der Objektwelt, Köln
1992, S. 143f) Auf Ralf Peters' Abbildungen von Menschen sind die einzigen
Lichtquellen die Monitore. Es ist jenes Licht, das eine direkte Beziehung
mit den Menschen herstellt und die Identität der Personen erst
sichtbar macht. Ohne diese kühle Beleuchtung scheinen sie nicht
existieren zu können. Und obwohl sich die Menchen in ganz unterschiedlichen
Räumen aufhalten, die digitale Informationsübertragung ist
raumunabhängig.
Entsprechend den Tankstellen, für die
in Form und Funktion die Geographie keine Rolle mehr spielt, sind der
Computer und seine Netze universell. Sie können den ganzen Planeten
umspannen. Nichts wird sie aufhalten.
Trotz aller Kritik am gegenwärtigen
Gebrauch der Computer, ist es unsinnig, Technologie per se zu verurteilen.
Apokalyptisches Denken ist genauso wenig angebracht wie naive Euphorie.
Weder das Ende der Jugend wird durch Computerspiele eingeläutet,
noch eine neue Qualität städtischen Zusammenlebens allein
mittels "intelligenter Ambientes" erreicht. Die Bedeutung
des Computers hängt von seiner jeweiligen Verwendung und den damit
verbundenen Interessen ab. Auch Ralf Peters arbeitet mit dem Computer
und benutzt ihn für die Herstellung seiner Werke. Softwareprogramme
ermöglichen ihm, Tankstellen und Supermärkte so darzustellen,
wie er es für seine Intentionen benötigt. Mit ihrer Hilfe
kann er die architektonische Gestalt auf das Wesentliche reduzieren.
Seine Abstraktionen - er ließ Firmenlogos, Schriften und Nummern
verschwinden - dienen zur Idealisierung und Überspitzung der Gestalt.
Die abstrahierten Architekturen werden dabei zu Zeichen für den
transnationalen Expansionsprozeß, der unter dem Begriff "Globalisierung"
bekannt wurde. Die Differenzen verschwinden hinter einem einheitlichen
Schema. So sind Peters' Computermanipulationen als Reaktion auf die
Fusionierung in unübersichtliche Machtkonglomerate zu verstehen,
in denen die Besitzverhältnisse von und zwischen Tankstellen und
Supermärkten zunehmend unklar geworden sind. Die Firmenidentitäten
lösen sich weitgehend auf, die verschiedenen Unternehmen verschmelzen
zu weltweiten Superkonzernen. Im Zeitalter des aggressiven Kapitalismus
scheint das Konzept der Coperate Identity an Bedeutung zu verlieren.
Ein Unternehmen besitzt meist mehrere Tochterfirmen, die unterschiedliche
Marktbedürfnisse erfüllen. Diese Diversität führt
zur Auflösung eines einheitlichen Erscheinungsbildes einer Firma.
Reziprok dazu gleichen sich sowohl das Äußere der funktionalen
Gebäude als auch das Warenangebot immer mehr an. In allen Tankstellen,
die sich zunehmend in Supermärkte verwandeln, findet der Käufer
neben Treibstoff jede Menge anderer Güter vor. Das Sortiment reicht
vom frischen Croissant bis zur aktuellen Hit-CD. Die einzelnen Ladenketten
und Benzinmarken sind heute vor allem durch die verschiedenen Farben
zu unterscheiden. Diese haben Signalwirkung. Sie sind knallig und attraktiv.
Die farbigen Lichter schaffen, wie Ralf Peters Fotografien belegen,
zudem Differenz. Sie erzeugen eine erstaunliche Distanz zwischen den
Stätten des Konsums und ihrer Umgebung.
Tankstellen und Supermärkte gelten
als Symbole für den schnellen Austausch von Waren, Geld und Energie.
In den Zeiten der Deregulierung sind diese auch abends geöffnet,
Tankstellen häufig 24 Stunden. Durch die ausgefeilte Lichtregie
erhalten sie gerade in den nächtlichen Stunden einen beinahe sakralen
Charakter - ein Aspekt, der schon Ed Rusha zu seinen berühmten
Gemälden von amerikanischen Tankstellen inspirierte. Sie werden
zu Repräsentationen des allerorts herrschenden Warenfetischismus.
Ralf Peters' Fotoreihe erscheint in diesem Zusammenhang als eine Metapher
für die Auswirkungen der rasanten ökonomischen Entwicklung
in unserer Gesellschaft. Die Leuchtkraft und der Glanz dieser Fotografien
korrespondieren mit dem verführerischen Schein der Warenwelt. Selbst
die neuen Formen der Arbeit beruhen weitgehend auf Schein und Illusion.
Denn die Attraktivität des Computers liegt vor allem in seinem
Versprechen, in seiner fiktionalen Kraft und den unendlichen Verwendungsmöglichkeiten,
die er vorgibt zu besitzen und die in ihn hineinprojiziert werden. In
diesen Zeiten darf das Licht niemals ausgehen.
Justin Hoffmann
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