Rede Carsten Ahrens

Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Ralf Peters im Kunstverein Springhornhof, Neuenkirchen, 24. März 2001

Meine Damen und Herren,

Die Kunst unserer Zeit ist in ihrer Mannigfaltigkeit, um einen schönen alten deutschen Ausdruck voller Stolz zu bemühen, kaum noch zu überblicken. In der Vielzahl ihrer Möglichkeiten, die von Künstlern in immer neuer Weise genutzt werden, erleben wir einen overdrive der unterschiedlichsten künstlerischen Sprachen, die jene Räume besetzen, die von den Künstlern zu Beginn des Jahrhunderts, und daraufhin nach dem Krieg von den Künstlern der 60er und 70er Jahre eröffnet wurden. Es geht schrill zu heute und es geht laut zu, denn in der Vielzahl der unterschiedlichen Stimmen, muß man sich Gehör verschaffen. In diesem polyphonen Konzert tauchen allerdings immer wieder Künstler auf, die das bunte Treiben mit kalkulierter Reduktion auf das Notwendigste zu unterlaufen suchen und mit zurückgenommener Geste formulieren. Zu diesen Künstlern, meine Damen und Herren, sie ahnen es, zähle ich Ralf Peters. Ralf Peters, der in Braunschweig, Nimes und München studiert hat, und im Jahr 1992 seine erste Einzelausstellung bestritt, arbeitet seit gut zehn Jahren in den Terrains der Kunst, und auch er hat in dieser Zeit eine Vielzahl unterschiedlichster Ansätze verfolgt, und diese Vielstimmigkeit ist in exemplarischer Weise in dieser Ausstellung im Springhornhof zu sehen. In einer Zeit, da die globalen Märkte der Kunst nach einer schnell identifizierbaren Signatur des individuellen Künstlers schreien, gehört Peters zu jenen Künstlers, die mit ihren artistischen Operationen eine dem Markt nicht stromlinienförmig sich anpassende Strategie suchen. So zeigt das junge Werk die Vielschichtigkeit, die gegen Routine arbeitet - sehen wir Unterschiedlichstes aus einer Hand, die Gruppenausstellung eines Einzelnen, denn unser Ich, von dem Rimbaud sprach, dieses Ich ist schon lange kein anderer mehr, dieses Ich ist heute ein plurale tantum. Vier Werkgruppen seien herausgegriffen: Da sind zunächst die seit Anfang der neunziger Jahre entstandenen Modelle. Schon hier wird deutlich, dass die Kunst von Ralf Peters einem Konzept, einer konzisen Strategie folgt. Es geht nicht um die frappierende Geste eines künstlerischen Tausendsassa, sondern um die kalkuliert hintersinnige Konstruktion einer Möglichkeitsform. In unzähligen Modellen, ich glaube es sind 64, werden hier mögliche Ausstellungen, mögliche Installationen durchdekliniert. Undzwar in der spielerischen Manier von Pappmaché, Schere und Klebstoff im filigranen Format der Puppenstube. Die Ausstellungsvarianten, in denen Peters die Bedingungen unserer Wahrnehmung untersucht, sind real nur im Modell. Eine tatsächliche Ausführung, dieser unnötigen Mühe der Zeitverschwendung, unterzieht sich der Künstler nicht. Er bewahrt uns vor dem fintenreichen Variantenreichtum der immer neuen und doch gleichen Ausführung in realiter. So bleibt die Sache handlich.

Ein Modell ist ein Modell ist ein Modell. Es setzt eine Idee, eine Möglichkeitsform in die Welt, die der tatsächlichen Ausführung im 1:1 der handgreiflichen Wirklichkeit Paroli bietet. 1:0 also für das Modell und die Idee des Künstlers, die in diesen Pappmachécontainern, an den Rändern des Wirklichen, eine reine Idee bleiben.

So erobert Ralf Peters mit seinen Versuchsanordnungen künstlerischer Installationen für real existierende Ausstellungsräume mit leichter Hand die Institute der Kunst unserer Zeit. Er dringt ein ohne sich aufzudrängen. Darüberhinaus entgeht er dem Ärger mit Kuratoren, Geldgebern etc., den eine Realisierung immer auch mit sich bringen mag. Die Vorstellung der künstlerischen Realität in Pappmaché beläßt die Idee in ihrer kristallinen Form. Und da wir uns in den Bezirken der Wa(h)ren Kunst befinden, kann man diese Ideen auch kaufen, und so so der künstlerischen Idee habhaft werden. Die Möglichkeitsformen begegnen potentiell stolzen Besitzern. Keine schlechte Idee. Nach diesem Modell kann der Künstler leben.

Der modellhafte Charakter prägt auch die anderen Serien und Werkblöcke dieser Ausstellung. Der Künstler arbeitet stetig in den Bereichen des Virtuellen, er ändert die Welt in den Bildern, die er am Computer generiert. So entstehen Supermärkte und Tankstellen, denen die Logos und Schriftzüge genommen sind, die so allein über die Leuchtkraft ihrer Farben an jene Unternehmen erinnern, die uns an diesen Umschlagplätzen mit ihren Produkten versorgen. Peters gleicht diese alltäglichen Architekturen, deren vormaliger Variantenreicht um(denken Sie nur an die Petrolstationen des Mittleren Westens zur Zeit eines James Dean) sich im Zuge einer sich stetig rationalisierenden globalen Vermarktung immer eindimensionaler geworden ist, einander an, indem er ihnen das schmückende Beiwerk nimmt. Es bleiben eigenartige architektonische Inkunabeln zurück, die eine geheimnisvolle Schönheit umgibt, und die unseren Blick auf einen Prozess der ästhetischen Gleichschaltung lenken, der uns beim Gang durch die Städte auf Schritt und Tritt begegnet.

Von den Verkaufsplätzen der Großunternahmen schweift der Blick in einer anderen Serie auf die Schaltzentralen der global players, auf jene raumgreifenden Architekturen, wie sie die Silhouetten unserer Städte bestimmen. Diese Gebäude wandeln sich in eine andere Wirklichkeit - der Künstlker nennt sie "Boxes".

Peters interessiert die solitäre Stellung dieser architektonischen Giganten, die in ihrer Losgelöstheit vom städtischen Umraum als Zeichen erscheinen, in denen sich Macht und Modernität von Unternehmen spiegeln. Diese erratischen Blöcke des Stadtraumes geraten im Prozeß der digitalen Metamorphose in eine gänzliche Isolation. Es entstehen skulpturale Körper, die auf den Flächen des Bildes zu schweben scheinen. Peters dreht die Koordinaten der Gebäude, legt ihr aufwärtsstrebendes Moment auf die Seite und spiegelt die Architektur in ihrem eigenen Ästhitizismus. Die so - durch wenige Hand-oder Tastengriffe nur - entstehenden reizvollen Körper, werden scheinbar zu handhabbaren Objekten. Unser Blick navigiert gewissermaßen auf den spielerischen Oberflächen, den ornamentalen Linien dieser außer Kraft und Funktion gesetzten Häuser und schärft sich gleichsam zu einer fundierten Kritik unseres Begriffs von städtischer Architektur.

Ralf Peters trägt den Traum von der Verwandlung der Welt in ein neues Zeitalter. Seine Arbeiten jonglieren mit den fest stehenden Realitäten der alltäglichen Wirklichkeit, hebeln sie in spielerischer Weise aus. Sein künstlerischer Blick vereint in den Metamorphosen neuer Bildmedien spielerischen Witz und kritische Tiefe. Der Künstler dekliniert seine Sujets, seien es Tankstellen, Schwimmbäder, Einkaufszeilen, in denen wir das unheilvolle Szenario einer Strasse sehen, in der die Passanten alle gleichgeschlechtlich sind, der horror vacui der Eindimensionalität schlechthin, oder, wie in der jüngsten Serie, die ein anderes Leben versprechenden Bilder der Urlaubsparadiese. In der öden Gleichheit dieser Areale der Erholung, mit denen Peters die Quintessenz aus real existierendem Urlaubsglück zieht, dreut dem Betrachter, dass er nicht umhin kommt, sich selbst auf diese Reisen des fernen Glücks mitzunehmen.

Vilém Flusser sprach in seinen Texten immer wieder davon, dass der Mensch der Zukunft kein homo faber mehr sei, sondern vielmehr auf dem Sprung gedacht werden müsse, ein homo ludens zu werden. Einmal mehr formulieren zunächst die Künstler diesen vorgestellten Weg. Der spielerische Akzent, der den Künstler in die Rolle des Mediators versetzt, der aus den Daten des Realen eine andere Welt destilliert und vorstellt, dominiert die künstlerische Sprache von Ralf Peters.

Wie immer am Ende, das ich Ihnen jetzt versprechen kann, meine Damen und Herren, zwei Sätze, die die vorangegangenen überflüssig machen : Schwamm über diese Rede zunächst. Denn Sie sind nach Brechts schönem Satz in der Betrachtung der Kunst immer ihr eigener Kolumbus. Das gilt für diese Ausstellung allemal, in der es einmal mehr um nicht weniger geht, als den schönsten Computer den die humane Existenz kennt - Ihr sehendes Auge.

Carsten Ahrens